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6-3 Betriebliche Entwicklung bis zum Zusammenbruch



Am 1. Juli 1938 wird die Förderung wieder aufgenommen. Hängebank, Sieberei und Verladung werden vorher umgebaut. Bei diesen Arbeiten sieht sich der Bergrevierbeamte gezwungen, die Betriebsleitung wegen eines offenen Schmiedefeuers nahe kohlenstaubbedeckter Wipper unter Hinweis auf eine Kohlenstaubexplosion auf General Blumenthal im Jahre 1931 schriftlich zu tadeln.

Der Wagenumlauf hat drei Wipper, drei Rohkohlensiebe und drei Lesebänder. Die Sieberei leistet 300 Tonnen Rohkohle stündlich; das Korn unter 80mm geht in die Naßwäsche mit 265 Tonnen Stundenleistung.

Die Kokerei beginnt zur Koksofenbeheizung Generatorgas oder auch Schwachgas aus Koks und Wasserdampf zu erzeugen, um wertvolleres Kokereigas oder Starkgas in das Ferngasnetz geben zu können. Auch wird die nach 1932 errichtete Gasreinigungsanlage erweitert.

Bei einem Bergegehalt von 17% werden 1938 mit 1,73 Tonnen Grubenleistung und 1,26 Tonnen Gesamtleistung je Mann und Schicht 3.250 Tonnen Kohlen arbeitstäglich und rd. 455.000 Tonnen Kohlen in 140 Fördertagen gehoben. Der Hauerdurchschnittslohn beträgt 8,27 Mark je Schicht. Für "ausfallende" Arbeitszeit an Neujahr, Oster- und Pfingstmontag sowie an beiden Weihnachtstagen wird der regelmäßige Arbeitsverdienst gezahlt.

Die Zeche kommt dem Wunsch des Reichswirtschaftsministers nach, Gefolgschaftsmitglieder gruppenweise durch Kurzvorträge im Einvernehmen mit Bergbehörde und Arbeitsfront beruflich fortzubilden, arbeitspolitisch auszurichten sowie zur bestmöglichen Rohstoffverwendung und Unfallverhütung anzuhalten und zur Leistung anzuspornen.

Der Bergrevierbeamte weist auf die Richtlinien für den Leistungskampf deutscher Betriebe hin, die auch beinhalten, Arbeitskraft durch Gewähren warmer Mahlzeiten zu erhalten. Da es nottue, die Leistungen im

Steinkohlenbergbau zu steigern, müsse das Merkblatt allen dafür verantwortlichen Führungskräften bekannt werden. Er selbst halte eine warme Zwischenmahlzeit vor Überarbeit auch in der Grube für richtig. Der Großkochanlagenhersteller Küppersbusch in Gelsenkirchen springt in die Bresche und führt aus: Nach der Göring-Verordnung zur Leistungssteigerung im Bergbau habe der Unternehmer bei unvorhergesehener Mehrarbeit für notwendige Verpflegung der Gefolgschaft zu sorgen. Auch unter Tage sei die Beköstigung aus an Riemen tragbaren und mit Markennummern versehenen Thermosgefäßen möglich; der Umlauf könne wie bei den Grubenlampen erfolgen. Die Kosten für die Kocheinrichtung und Thermosgefäße seien gering verglichen mit der dadurch möglichen Leistungshebung der Gefolgschaft, von der allein es ja letztlich abhänge, ob die verlangte erhöhte Förderquote auch wirklich erreicht werde; außerdem müsse die damit gleichzeitig verbundene größere Widerstandskraft der Bergleute gegen Erkrankungen der verschiedensten Art berücksichtigt werden. Grubenbetriebsführer Lux, von Inspektor Aghte um "eindeutige" Stellungnahme hierzu gebeten, gibt Butterbroten mit Kaffee in der Grube den Vorzug.

Seit 1939 fahren in den Hauptstrecken der 800m-Sohle acht Deutz-Diesellokomotiven mit je 66 PS Leistung auf 540mm Gleisspurweite. Die Förderwagen haben 750 bzw. 1000 L. Inhalt. Sie werden auch zur Personenfahrung benutzt. Im Jahre 1939 steigt die Förderung bereits wieder auf über eine Millionen Tonnen Kohlen.

1940 gibt es Grubenwehreinsätze bei einem Bandstreckenbrand im Flöz Wilhelm, einem Holzbrand in Flöz Zollverein und einem Brand in Flöz Gretchen. Schlagwetterexplosionen bei Abdämmungsarbeiten zwischen Ewald Fortsetzung und König Ludwig auf der 600m-Sohle im Feld König Ludwig in Suderwich fordern 16 Bergmannsleben, unter den Toten sind auch zwei Erkenschwicker. Die 800m-Einheitssohle wird mit der Zeche König Ludwig 4/5 durchschlägig.

Die Tagesfördermenge der Zeche erreicht 1940 mit 3.900 Tonnen Kohlen fast die Höhe von 1929, obwohl nicht - wie damals - auch in Rapen gefördert wird. Ab 1940 schließen die Gesellschaftsberichte mit Verlustmeldungen ab.

Im Jahre 1941 werden Dipl.-Ing. Georg von Radey und nach diesem, von der Zeche König Ludwig 4/5 kommend, der Betriebsdirektor Dr.-lng. Adolf Wiese Betriebsdirektoren der Zeche. Dr. Wiese kennt die Zeche schon 1931 als Fahrsteiger.

Um 1941 werden in der Energiewirtschaft nur noch 14 Wasserrohrkessel aus 1921 und 1929 mit 5.500 qm Heizfläche betrieben. Arbeitstäglich werden 3.700 Tonnen Dampf erzeugt, in der Spitze 190 Tonnen Dampf stündlich, der zu 26% der Drucklufterzeugung, zu 23% der Stromerzeugung, zu 19% dem Stickstoffwerk, zu 16% der Kokerei und zu 11% dem Förderbetrieb dient. Der Abdampf dient der Warmwasserbereitung für Heizung und Bäder sowie dem Betrieb eines Zweidruck-Turboverdichters.

Die Druckluftmenge von 98.000 cbm stündlich erzeugen die veralteten Kolbenverdichter aus 1902 und 1907 mit zusammen 13.000 cbm, der Schraubenverdichter aus 1925 mit 25.000 und ein Schrauben-Zweidruck-Verdichter aus 1938 mit 60.000 cbm Luft stündlich. Arbeitstäglich werden 900.000 cbm Druckluft erzeugt. Die Stundenspitze beträgt 60.000 cbm und ist von der Dampfseite begrenzt. Über eine 300er Leitung im Schacht 1 und zwei Leitungen zu 300 bzw. 400 mm Durchmesser im Schacht 2 werden der Grube 92% der Drucklufterzeugung zugeführt. Die Kokerei verbraucht 8% der erzeugten Druckluft. Der Druckluftverbund mit König Ludwig ist durch ein Brandfeld unterbrochen.

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Der Stromerzeugung dienen noch die drei Turbogeneratoren aus 1913 und 1921 mit 13,2 MW Leistung. Der arbeitstägliche Stromverbrauch beträgt 158 MWh, hiervon muß die Zeche König Ludwig 54 MWh liefern. Der Spitzenverbrauch liegt bei 7,5 MWh. Der Stromverbrauch verteilt sich zu 28% auf das Stickstoffwerk, zu 24% auf den Tagesbetrieb, zu 20% auf die Grubenbewetterung, zu 18% auf die Kokerei und zu 6% auf die Aufbereitung. Das Kabelnetz ist 28 km lang. Seit 1939 gibt es ein 30 kV Kabel nach König Ludwig.

Der elektrische Energieverbrauch unter Tage beträgt erst rd. 1%.

Haupt- und Reservegrubenlüfter für 9.000 bzw. 15.000 cbm Wetter minütlich, durch Dampf bzw. elektrisch angetrieben, befinden sich am Ausziehschacht 3, bzw. für 10.000 und 15.000 cbm Wetter je Minute, elektrisch angetrieben, am Schacht 5. Die angesaugten Wettermengen betragen 8.000 bzw.8.500 cbm je Minute bei 280 bzw.110 mm WS Unterdruck.

Auf der Kokerei sind ca. 80 Öfen aus 1926 in Betrieb, die bei 13 Stunden Garungszeit 800 Tonnen täglich erzeugen können; umgebaut werden 120 Öfen. Nach "Umbau" wird eine Gesamtkokserzeugung von rd. 2.500 Tonnen täglich erwartet. Die beiden Kokskohlentürme fassen 3.000 und 1.000 Tonnen Kohle. Das Ausbringen, bezogen auf trockene Kohle, beträgt 1940 rd. 79% Koks, 2,7% Teer, 1,1% Ammoniak, 0,75% Benzol, 330 cbm Gas; etwa 35% des Kokses sind Stückkoks. Der aus dem Kokereigas ausgewaschene Schwefelwasserstoff wird bei Bedarf zu Barrenschwefel verarbeitet. Bis zu 160.000 cbm Reingas gehen täglich in das Stickstoffwerk. Das übrige Gas wird verdichtet, getrocknet, nachgereinigt und über König Ludwig an die Ruhrgas AG abgegeben.

Das Ammoniakwasser wird nach dem Verfahren der Emschergenossenschaft von Phenol befreit. Die Benzolfabrik hat 5 Destillationsblasen mit zusammen 190 cbm Inhalt und kann 700 Tonnen Rohbenzol monatlich verarbeiten.

Das Stickstoffwerk erzeugt rd.18.100 Tonnen Flüssigammoniak mit rd.14.900 Tonnen Stickstoff aus rd. 37 Millionen cbm Kokereigas zu je 4.300 kcal. Heizwert aus 239.000 Tonnen Dampf und aus 14.400 MWh Strom.

Sämtliche Werkstätten über Tage beschäftigen insgesamt 75 Mann auf rd. 1.600 qm Fläche. Kohlenlagerplatz und Landabsatz sind nicht voll ausgebaut. Die Waschkaue hat 3.250 Kleiderhaken auf 2.300 qm Fläche. Das benötigte Frischwasser stammt zu 30% aus eigenen Brunnen. Die gesamte Bürofläche bedeckt rd. 1000 qm.

Für die Zechenbahnhöfe mit Verladung und Kokerei sowie für den Anschlußdienst auf der 8,7 km langen Strecke zum Bahnhof Sinsen gibt es zehn Dampflokomotiven und 127 eigene Waggons. Um 1941 beginnt der Bau der Zecheneisenbahn zwischen den Schächten in Rapen und Suderwich, an die der Grubenvorstand schon 1908 dachte.

Ab 1941 darf man Förderwagen mit Personen nicht mehr zwischen Lokomotive und Güterzug kuppeln, nachdem ein Bergrevierbeamter und ein Betriebsführer, je einzeln in einem solchen Wagen sitzend, mit diesen umkippten und sich der Betriebsführer verletzte. Einzelpersonen müßten sich künftig stets in die Wagenmitte setzen und der seitliche Einstieg dürfe keinesfalls versperrt werden, damit man beim drohenden Umkippen schneller hinausspringen könne, verfügt der Bergrevierbeamte.

In den Abbaustrecken der flachen Lagerung finden sich zunehmend Förderbänder; auch in flachen Streben werden sie erprobt. Aus dem Abbau mit Blindort und "Sparversatz" entwickelt sich Bruchbau mit Reihenstempeln und Eisenwanderpfeilern. Der Schacht 1 wird zur 800m-Sohle weitergeteuft.
Ab etwa 1941 will eine Werkszeitung unter dem Titel "Hacke und Knarre" Klammer sein zwischen Heimat und den als Soldaten dienenden Bergleuten. Sie ist schwarzweiß bebildert, berichtet über das allgemeine Betriebsgeschehen, über betriebliche Verbesserungsvorschläge und will das betriebliche Sicherheitsbewußtsein durch Spruchwettbewerbe fördern; es erscheinen u.a. Verse des Ortshauers Emil Smirnow und ein Reim des damals etwa 20 Jahre alten Rudolf Dolar, später lange im Wirtschaftsbüro der Zeche tätig. Verdiente langjährige Mitarbeiter stellt das Blatt mit Text und Bild vor. Schließlich folgen eine Rätsel- und Quizecke.

Eine Gasbehälterexplosion am 16. Januar 1942 legt das Stickstoffwerk lahm. Das Unglück fordert 15 Menschenleben. Unter den Toten befinden sich der Betriebsleiter Teilken und der Betriebsführer Gößling.

Wochenlang anhaltender und für das Ruhrgebiet ungewöhnlich scharfer Frost hatte dazu geführt, daß die Scheibe in dem wasserlosen Gasbehälter sich nicht mehr spielend leicht den Schwankungen des Gasinhaltes anpassen konnte. Die Folge war, daß Gas in den oberen Behälterraum übertrat und sich Knallgas bildete. Wie im einzelnen der Zündungsfunken entstand, ließ sich nicht eindeutig klären, denn alle Betriebsbeamten, die darüber Sicheres hätten aussagen können, kamen bei der Explosion ums Leben.

Der Wiederaufbau der zerstörten Anlagen war durch die kriegsbedingten Schwierigkeiten (Materialbeschaffung, Fachkräfte) erst nach einem Jahr beendet.

Der Chemiker Dr. Wilhelm Riese übernimmt mit dem Betriebsführer Skerra und dem Betriebsingenieur Horstmann die Betriebsleitung.

Rund 750 "Gefolgschaftsmitglieder" werden zur Wehrmacht befohlen. Von rd. 3.200 Mann zwischen 1940 und 1942 steigt die Gesamtbelegschaft bis 1944 um rd. 1700 Mann durch Aufstocken mit meist russischen Kriegsgefangenen und polnischen und russischen zwangsverpflichteten "Ostarbeitern" an. Sie arbeiten überwiegend in der Grube und sind in Barackenlagern links der Knickmannstraße, halbwegs Oer und an den Schächten in Rapen untergebracht. Für ihre Lagerverpflegung baut man 1944 an der Zeche König Ludwig 7/8 am Ickerottweg in Suderwich nahe den Becklemer Feldern eine Trockengemüseanlage, in der maschinell gesäubertes Rohgemüse zerkleinert, heißluftgetrocknet und in Papiersäcken verpackt wird.

Arbeiter sind so rar, daß russische Kriegsgefangene ohne ärztliche Untersuchung in die Grube dürfen; die Untersuchung auf Wurmkrankheit soll später erfolgen. Bereits 1942 gibt es Arbeitsregeln in ukrainischer Sprache. Der Bergrevierbeamte weist 1942 darauf hin, ihm seien auch Unfälle von Kriegsgefangenen und Ostarbeitern zu melden. Der Reichswirtschaftsminister erläutert 1942, der von Nationalsozialistischer Deutscher Arbeiterpartei und Arbeitsfront angestrebte Betriebsarzt habe größere Aufgaben als die ärztlichen Aufsichtspersonen; da die Aufgaben aber austauschbar seien, müsse auch der Betriebsarzt dem Bergrevierbeamten benannt werden.

Im Jahre 1942 besteht die normale tägliche Milchzulage für durch Blei, Benzol, Kohlenoxyd usw. gefährdete Arbeiter aus je einem viertel Liter Vollmilch und Magermilch. Bei besonderer Gefährdung können unter 18 Jahre alte Arbeiter täglich einen halben Liter Vollmilch erhalten, jedoch nicht Schwerstarbeiter, da in deren Nahrung ausreichend Fett sei; für diese könne Magermilch beantragt werden, da das Eiweiß der Milch die entgiftende Wirkung habe.

Bei rd. 4.000 Tonnen Kohlenmenge täglich 1941/42 beträgt die Leistung unter Tage rd. 2 Tonnen Kohlen je Mann und Schicht wie später erst im Jahre 1961 wieder. Ab 1942 muß es in der Abteilung 4 West-Süd in den
Flözen Hugo, Matthias und Gretchen Anna erste elektrische Maschinen im Abbau gegeben haben. Offenbar sind sogar im Kriege 1942/43 Ausrichtungsbetriebe mit Lademaschinen belegt, und zwar die westliche Richtstrecke und die Querschläge 5 und 6 Ost-Süd, 700- und 800m-Sohle, sowie die Abteilungen 5 West-Süd, 700m-Sohle und 3 Ost-Süd, 800m-Sohle.

In den Jahren 1943/44 des "totalen Krieges" werden im Schnitt rd. 4.450 Tonnen verwertbare Kohlen mit 1,75 Tonnen Untertageleistung täglich gefördert, die erst um 1960 wieder erreicht wird.

Die Jahresfördermenge erreicht 1943 mit 1.435.814 Tonnen den bisher höchsten Wert. Er wird erst 1974 wieder eingestellt. Der Bergegehalt liegt allerdings bei nur 13%. Außerdem muß an bis zu 74 Tagen im Jahr zusätzlich voll gefördert werden. So hat z.B. das Jahr 1943 324 Fördertage, d.h., an etwa 18 Sonntagen und an sämtlichen Feiertagen, außer Weihnachten und Neujahr, müssen sog. "Pflichtschichten" oder "Panzerschichten" verfahren werden. Davon sind auch die über Tage eingesetzten über 21 Jahre alten kinderlosen Frauen nicht ausgenommen. Frei bleibt selbstverständlich der 1. Mai als "Tag der nationalen Arbeit."

Als Aufsichtspersonen um 1939 bis etwa 1944 sind namentlich bekannt die Grubeninspektoren Aghte und F. Lux, die Grubenbetriebsführer Schuster, Mette, der Tagesbetriebsführer Wilhelm Dilchert, die Obersteiger Dipl.-Ing. A. Meyer, Uhle, In der Wiesche, die Fahrsteiger von Bronk, Behrenbeck, Kellmann, Nöcker, Wittlake, Koch, Rolf, Uferkamp, Alt, Gorges, die Reviersteiger Lessner, Beckschulte, Meinhardt, Esser, Kiesthardt, Hohenlüchter, von Kleinsorgen, Buch, Sprenger, Brüggemann, Stork, Vogelsang, Rüping, der Wetter/Schießsteiger Momm, die Steiger Diergardt, Beneken, May, Block, Wagner, Rohsiepe, Schwarz, Hoffmann, Kersting, Gitt, Pöpel, Guterl, Gehring, Müller, Grossart, Weber, Kruckow, Möller, Pennekamp, Neuhaus, Jetten, Egert, Riedel, Walter, Gayk, Diekmann, Knappmann, Ritter, Richter, Humke, Röwekamp, Stränger, Hellhammer, Hennemann, Hillebrandt, Niederbäumer, Wellmann, Quante, Goerke, Jonas, Diepenbrock, Düdder, Maschinensteiger Stucht, Wittich, Vermessungssteiger Efselmann, Elektro-Fahrsteiger bzw. Steiger Schürmann, Domin, Klöcker, Gruß, Hallmann.

Nachdem amerikanische und englische Fliegerbomben Industrie und Wohngebiete Essens, Bochums, Dortmunds und das Nordviertel Recklinghausens bereits weitestgehend einebneten, erfolgt auf Erkenschwick, von zwei kleineren Bombenabwürfen 1940 und 1941 abgesehen, ein großer Luftangriff erst 1945. In den ersten Kriegsjahren konnte man offenbar mit einer Scheinzeche im Waldgebiet Haard erfolgreich ein lohnendes Bombenziel vortäuschen und vom echten Ziel ablenken. Auch wurden die Koksofengruppen durch verkleidete Gerüste abgedunkelt; das nützte aber bei Tage nicht.

Am 15. Januar 1945 frühnachmittags werden die Energieanlagen und die Fördermaschine Schacht 3 der Zeche durch Bomben zerstört. Es sind 32 Menschenleben zu beklagen.

Die Bergleute fahren über den Schacht 5 in Rapen aus, dessen Dampffördermaschine durch das dort noch unversehrte Kesselhaus gespeist wird; einige klettern zu Tage. Dank des übertägigen Stromverbunds mit König Ludwig beheben Fachleute die elektrische Störung in nur drei Tagen. Am 21. März nachts legen Fliegerbomben die Hauptwasserversorgung und damit auch die stromerzeugende Dampfturbine auf König Ludwig lahm. Wieder gelingt es kurzfristig, den Schaden zu beheben und das über König Ludwig führende Kabel von der Zeche Ewald in Herten anzuzapfen.

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“Wir empfanden es als unsere Pflicht”
Zeitungsartikel von 1965

Vor zwanzig Jahren ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Es ist in letzter Zeit sehr viel darüber geschrieben worden; die Erinnerung daran ist wieder lebendig. Der folgende Bericht behandelt zwar nur ein Ereignis, das am Rande des Geschehens lag, das nur lokale Bedeutung besitzt, in der Geschichte unserer Gesellschaft aber nicht übersehen werden darf. Wir wollen damit die Leistung und den selbstlosen Einsatz von acht Mitarbeitern würdigen, die durch ihr entschlossenes Handeln im Frühjahr 1945 die Schachtanlage Ewald-Fortsetzung in Oer-Erkenschwick vor dem Ersaufen gerettet haben.

Viele werden sich sicher noch an die Bombenangriffe auf Oer-Erkenschwick erinnern, vor allem an den schwersten am frühen Nachmittag des 15. Januar 1945. Die Kraftwerksanlagen der Zeche wurden damals so stark beschädigt, daß der gesamte Betrieb mehrere Wochen lang ruhen mußte. Doch besonders gefährlich wirkte sich der Stromausfall für die Wasserhaltung aus. Wenn es nicht gelingen würde, die Wasserhaltungsmotoren innerhalb kürzester Zeit wieder mit Strom zu versorgen, wurde Ewald-Fortsetzung ersaufen. Das war allen klar. Fieberhaft wurde daran gearbeitet, erhebliche Schäden am Kabelnetz zu beseitigen, Hilfskabel auszulegen, neue Anschlüsse und eine Verbindung zum Kraftwerk König-Ludwig herzustellen. Fast vier Tage dauerte es, bis mit dem Pumpen begonnen werden konnte. Schon begannen der Sumpf auf der 800m-Sohle und die Sumpfstrecke auf der 700m-Sohle überzulaufen.

Immer wieder auftretende Störungen konnten meistens innerhalb kurzer Zeit beseitigt werden. Selbst: als am 21. März das Kraftwerk König-Ludwig nach Zerstörung des Hauptwasserleitungsnetzes ausfiel wurde Ewald-Fortsetzung schon nach drei Tagen mit Strom der Schachtanlage Ewald 1/2 in Herten versorgt, bis auch diese letzte Möglichkeit durch eine Brückensprengung, bei der das Kabel zerrissen wurde, zerstört wurde.

Doch die Sorgen wurden immer größer. Nach drei Bombenangriffen war Ewald-Fortsetzung schon so schwer beschädigt, daß erst nach wochenlangen Aufräumungsarbeiten mit der Wiederinbetriebnahme gerechnet werden konnte. Durch den sinnlosen Befehl, dem näherrückenden Feind kein Material und keine brauchbaren Betriebsanlagen in die Hände fallen zu lassen, wurde das Zerstörungswerk noch fortgesetzt. “Verbrannte Erde” nannte man das damals. Die Devise lautete: Alles sprengen, was noch brauchbar ist! Diesem Irrsinn fielen auch sämtliche Fördermaschinen der Zeche zum Opfer.

Das Schicksal der Schachtanlage schien besiegelt: kein Strom; keine betriebsbereite Fördermaschine; Instandsetzungsarbeiten durften nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Alliierten....

BILD 103 Zerstörungen in Oer-Erkenschwick

Am 29. März 1945 zerstören Nationalsozialisten vor der näherrückenden Kriegsfront wichtige Teile der Fördermaschinen der Schächte 1 und 2 sowie die Einbauten des Schachtes 5, in den sie Förderwagen werfen; sie sprengen am 31. März eine Brücke und zerstören damit auch das nach Erkenschwick führende Stromkabel. Am 30. März erschießt der Zechenwerkschutz den nationalsozialistischen Ortsgruppenleiter und Oer-Erkenschwicker Bürgermeister Weikert sowie den örtlichen Führer der nationalsozialistischen Sturmabteilung bei deren Fluchtvorbereitungen.

Am 1. April, Ostertag 1945, nehmen angloamerikanische Truppen Oer-Erkenschwick kampflos ein; man fühlt sich befreit, obwohl die Kämpfe noch bis Anfang Mai 1945 dauern.

Bereits am 9. April 1945 fließt wieder der elektrische Strom. Seit Zerstörung der Fördereinrichtungen am 29. März ist kein Grubenwasser mehr gehoben worden. Der 33 jährige Maschinenfahrsteiger Scharlau und der junge Elektrosteiger Domin wissen um das drohende Absaufen der Grube. Obwohl die Kriegsfront, wenn auch nur zwischenzeitlich, zurückkommen könnte, klettern sie mit Wissen ihrer Vorgesetzten auf eigene Faust am 10. April mit dem Pumpenwärter Pottel in die Grube, können die Pumpen 700m-Sohle bereits am folgenden Tage und mit den später nachgekletterten Maschinensteiger Gietler, Pumpenwärtern Bartowsky und Jenatscheck sowie Lokomotivführer Scharf am 12. April auch die Pumpen der 800m-Sohle anwerfen. Es war höchste Zeit. Da Seilfahrt nicht mehr möglich ist, verbringen die genannten Männer zwischen dem 10. und 16. April zur Pumpenbetreuung jeder bis zu 76 Stunden durchgehend in der Grube. Die Ablösenden bringen jeweils neue Notbeleuchtung und in Rucksäcken Verpflegung mit, bis sie auf der 600m-Sohle zwischen den Schächten 1 und 3 ein Lager mit hochwertigen Lebensmitteln und Kleidung entdecken, welches man im Bombenkrieg und vor der anrückenden Front als sichere Notreserve angelegt hatte. Die Männer werden 20 Jahre später als Retter der Zeche mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Am 15. April wird eine Zechendampflokomotive zur Warmwasserbereitung für die Kaue und nach Beheben von Rohrleitungsschäden seit 15. Januar auch der erste Dampflkessel wieder angeheizt, um die Fördermaschine Schacht 1, deren linke Antriebskurbel noch zerstört ist, ab 10. April wenigstens mit einem Zylinder wieder zu betreiben.

Am 7. Mai hat die Grube wieder Druckluft.

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