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3-3 Das Betriebsgeschehen in der Nachkriegszeit


In den Februarwirren 1919 rufen auch in Erkenschwick die Räte zum Streik auf, der vom 18. bis 26. Februar befolgt wird.

Eine Belegschaftsversammlung am 31. März "beschließt" die 6-Stunden-Schicht und 25% mehr Lohn. Auf der Zeche Ewald in Herten soll das Absetzen des später vertretungsweise auch für Ewald Fortsetzung zuständigen "neu angelegten Assessors" verlangt worden sein. Ab April 1919 gibt es die 7-Stunden-Schicht in der Grube. Die Verwaltung beantragt beim Bergrevierbeamten, bei so kurzer Schichtzeit das nur einmalige Befahren der Betriebspunkte je Schicht durch die Aufsichten wieder zuzulassen.

Anfang April 1919 schließt sich die Belegschaft auch dem Streik gegen den Belagerungszustand an, der von der Regierung gegen die Gewalt der Räte über das Ruhrgebiet verhängt worden ist.

Im zehnköpfigen Arbeiterausschuß der Zeche sind fünf Mitglieder des Alten Verbandes, zwei Mann des Christlichen Gewerkvereins, zwei Mann des Polnischen Verbandes und ein Mann vom Metallarbeiterverband.

Anbau mit Haupteingang

Im Herbst 1919 wird eine Zeichnung zum Umbau des nordsüd-gestreckten Büro- und Kauengebäudes und zum Anbau eines Bauflügels für die Markenstube straßenseitig nach Westen eingebracht. Weil das künftige Fördermaschinengebäude Schacht 2 dazu zwingen würde, die Diensträume von Betriebsdirektor, Maschineningenieur, Bauabteilung und Kaufleuten dauernd künstlich zu beleuchten, sollen diese in dem neuen Flügel Platz finden. Die alten Räume sollen Materiallager werden.

Durch Arbeitskämpfe gibt es 1919 nur 270 Arbeitstage. Trotz Ansteigens der Belegschaft um rd. 750 auf rd. 2.850 Mann fällt die Jahresfördermenge um 117.240 Tonnen auf 385.798 Tonnen Kohlen und die Kokserzeugung um rd.58.520 auf 273.403 Tonnen. Die Leistung ist auf 0,48 Tonnen Kohlen je Mann und Schicht gefallen. Gewinne der Kokerei- und Nebenbetriebe sollen in den Jahren 1918/19 Verluste des Grubenbetriebes wettgemacht haben. Die Löhne sind gegen das Vorjahr mit 19,53 Mark fast doppelt und der Verkaufspreis je Tonne Kohlen ist mit 48,54 Mark gegenüber dem Vorjahr fast fünfmal so hoch.

Das zuständige Bergrevier Ost-Recklinghausen übernimmt 1919 Erster Bergrat Jacobs als Nachfolger von Erster Bergrat Hollender, der als Bergwerksdirektor zur Gewerkschaft König Ludwig geht.

Im Februar 1920 wird das Betriebsrätegesetz erlassen. Als Ausgleich für die geforderte 6-Stunden-Schicht wird ein "Überschichtenabkommen" abgeschlossen: es sieht vor, Mehrarbeit mit 100% zu vergüten und mehr Brot und Fett zuzuteilen.

Im März 1920 lehnen die Gewerken eine von den Rheinischen Stahlwerken angebotene 30-jährige Interessengemeinschaft ab, nach der sie diesen eine oder mehrere Zechen der Gewerkschaft Ewald zur teilweisen Deckung ihres Hüttenselbstverbrauches überlassen sollen; die Zechen der Gewerkschaft Ewald bleiben "reine Zechen". Dem Beschluß gehen Ertragsvergleiche zwischen Ewald-Kuxen und Rheinstahlaktien voraus. Danach beläuft sich die einfach zusammengerechnete Ausbeute je Ewald-Kux von 1900 bis einschließlich 1920 auf 36.800 Mark mit Schwankungen zwischen 3.000 Mark je Kux in den Jahren 1907 und 1908 und 900 Mark je Kux 1915. Der Kurs je Kux beträgt 17.000 Mark im Jahre 1900 und wird 1920 mit 135.000Mark angegeben.

Die Zechenbelegschaft streikt vom 15. bis 20. März 1920 gegen den Kapp-Putsch, nachdem die sozialdemokratische Regierung den Generalstreik ausgerufen hatte; ebenso streikt sie vom 30. März bis 6. April 1920 gegen den von der Regierung angeordneten Einsatz von Reichswehrtruppen gegen eine kommunistische "Rote Ruhrarmee".

Nach den Betriebsratswahlen im Frühjahr 1920 gehören dem dreiköpfigen Betriebsrat je ein Vertreter vom Alten Verband, vom Christlichen Gewerkverein und vom Metallarbeiterverband an. Jede Steigerabteilung erhält einen "Revierrat".

Die Zahl der Gesteinshauer erreicht 1920 die Spitze von 330 Mann, die Zahl der Kohlenhauer beträgt wieder 1.060 Mann.

Im Jahre 1920 werden mit 3.348 Mann 465.696 Tonnen Kohlen gefördert und fast 330.000 Tonnen Koks erzeugt. Bei einer Leistung von nur 0,42 Tonnen Kohlen je Mann und Schicht steigt der Durchschnittslohn auf 47,46 Mark und der Preis je Tonne Verkaufskohle auf 177,20 Mark. An Ausbeute werden 8,5 Millionen Mark gezahlt. Der Geschäftsbericht 1920 beklagt hohe Steuerlasten, die vielfach in unfruchtbarer Parteiwirtschaft nutzlos verschleudert wurden.

Es ereignen sich fünf tödliche Unfälle, darunter der des Maschinensteigers Alby an einem Seilbahnhaspel.

Das in den Mühlenbach fließende Quellwasser des Hofes Sprenger in Rapen soll ab 1920 der Kokerei dienen. Damit sind jedoch die Mühlenbesitzer Hundrup und Rüping, Landwirt Köpper, Zechenschreiner Wesselbaum, Zimmermeister Gößling, Landwirt Jeismann u.a. nicht einverstanden. Daraufhin nimmt die Zeche von einem Vertrag mit Sprenger, der mindestens seit 1850 verbriefte Quellenrechte hat, Abstand. Sprenger ist einverstanden gegen Bezug von 6.000 Ziegelsteinen und 15 Sack Zement.

Für den 1920 ausscheidenden Friedrich Schürenberg treten der Regierungsassessor Dr. Wilhelm von Waldthausen und der Bankier Kurt Hirschland in den Grubenvorstand. Bergwerksdirektor Bergassessor Alfred Röttger von den Ewald-Zechen in Herten und Resse wird auf zehn Jahre Vertreter des Generaldirektors Ruschen.

Der Durchschnittslohn aller Arbeiter einschließlich Jugendlicher steigt 1921 auf 66,50 Mark. Jugendliche dürfen mit 14 Jahren anlegen, doch erst mit 16 Jahren in die Grube. Sie erhalten zweimal wöchentlich unbezahlte Weiterbildung durch Fahrsteiger Alt und Lehrer Kellerhoff.

Aus Anlaß des 50-jährigen Jubiläums der Gewerkschaft Ewald wird der Bergassessor von Rossum aus Essen mit der Anfertigung einer Festschrift mit zu erwartenden Gesamtkosten bis 215.000 Mark beauftragt.

Für die 1921 durch Tod ausscheidenden Grubenvorstandsmitglieder Ortwin Grevel und Arthur Krawehl treten Bankdirektor Walther Grevel und Geheimer Bergrat Dr.-lng. e.h. Ewald Hilger in den Vorstand ein. Der Schacht 2 heißt fortan auch Grevel-Schacht und eine Straße in Erkenschwick erhält den Namen Grevelstraße. Für den Markscheider Cordes in Herten, der auch Ewald Fortsetzung betreut, folgt Markscheider Karl Kleemann. Die kaufmännischen Geschäfte führen in Herten die Bergwerksdirektoren Lachenwitz und Elbert. Justitiar ist Direktor Merz.

Die Geldentwertung führt im August 1922 zu einem weiteren Überschichtenabkommen, das nochmals 50% Zuschlag vorsieht. Die Durchschnittslöhne steigen auf 570 Mark je Schicht. Es werden 42.500 Mark Ausbeute jährlich ausgeschüttet.

Die Zeche kauft 1922 den ersten Personenkraftwagen. Die evangelische Gemeinde erhält eine Spende über 100.000 Mark und einen Baukostenzuschuß von 200.000 Mark für einen Pfarrhausneubau.

Am 10. Juni 1923 wird die Zeche von belgischen Streitkräften besetzt, die seit Januar gemeinsam mit französischen Truppen im Ruhrgebiet die vereinbarten, jedoch ausbleibenden Raten Kriegsentschädigung in Form von Kohlen, Koks, Stahlerzeugnissen u.a. einzutreiben versuchen. Die Zeche leistet nach Regierungsaufruf "passiven Widerstand": nur der Eigenbedarf an Kohle wird gefördert und nur Notstandsarbeiten werden ausgeführt. Die Streitkräfte nehmen Bergwerksdirektor Brinkmann wegen Unterlassens von Meldungen und Sabotage bis zum 30. November 1923 in Haft und verurteilen ihn zu 500 Mark Geldstrafe. Betriebsführer Obertüschen wird von August bis Oktober 1923 festgesetzt, weil er angeblich Kohlen habe abfahren lassen; Betriebsführer Finkemeyer von der Zeche in Rapen soll für Ähnliches im Oktober 1923 zu einem Monat Gefängnis und 1000 Mark Geldstrafe verurteilt worden sein.

Nach Ende des passiven Widerstandes soll das Abkommen zwischen der Micum-Kommission und dem Ruhrbergbau vom November 1923 auch die Gewerkschaft Ewald zur ratierlichen Zahlung von 461.644 Dollar rückständiger und acht französische Franken je Tonne Kohle laufender Kohlensteuer sowie zur unentgeltlichen Abgabe von 27% Nutzförderung und 10% der Kohlenwertstofferzeugnisse verpflichtet haben.

Der Grubenvorstand erlaubt wegen knappen Geldes der Verwaltung, die Gewerkschaft Ewald mit Wechselkrediten und Gutscheinausgabe über Wasser zu halten, bis neue Erlöse eingehen; Wertpapiere aber sollen vorerst nicht veräußert werden.

Da Zechenverband und Bergarbeitergewerkschaft nach Auslaufen des Überschichtenabkommens keine neue Tarifvereinbarung finden, entscheidet der staatliche Schlichter für eine achtstündige Schichtzeit und gleichzeitig 15% Lohnerhöhung.

Durch Währungsverfall klettert der Durchschnittsschichtlohn auf 23 Millionen Mark.

Während die Ehrengabe eines zweifachen Monatseinkommens zum 25-jährigen Dienstjubiläum des Oberingenieurs Karl Müller Anfang November noch 1,2 Milliarden Mark beträgt und ein Brötchen zwei Millionen Mark kostet, bekommt man es nach der Abwertung für nur noch sieben Pfennig.

Im Dezember 1923 räumen die ausländischen Streitkräfte die Zeche. Die Belegschaft fördert im gleichen Jahr in 290 Arbeitstagen nur 192.260 Tonnen Kohlen und erzeugt nur 75.456 Tonnen Koks. Sie ist seit 1921 unverändert 3.800 Mann stark. Es gibt keine Ausbeute.

Vom 6. bis 31. Mai 1924 wird für siebenstündige Arbeitszeit unter Tage auch auf den Ewald-Zechen gestreikt. Eine Verordnung des Reichswirtschaftsministeriums von 16. September 1924 zwingt auch die Gewerkschaft Ewald in das neue (Absatz-) Syndikat, welches "Ruhrkohle AG" genannt wird.

Die rd. 3.400 Mann starke Belegschaft fördert 1924 in 276 Arbeitstagen 637.544 Tonnen Kohlen und erzeugt fast 246.000 Tonnen Koks. Die Löhne sollen 1924 um fast 37% erhöht worden sein. Eine Ausbeute wird nicht gezahlt.

Am 1. Juli 1925 werden im Schacht 4 von der 800m-Sohle Seilfahrt und Kohlenförderung aufgenommen. Der Schacht hebt in dem Jahr 79.365 Tonnen Kohle. Ab August 1926 nach Durchschlag der 800m-Sohle gehen die Kohlen unter Tage mit der Seilbahn über die 800m-Sohle zur Schachtanlage Ewald Fortsetzung 1/3. Die Anlagen in Erkenschwick und Rapen fördern 1925 mit 3.620 angelegten Arbeitern zusammen 720.309 Tonnen Kohlen und erzeugen 197.021 Tonnen Koks. In diesem Jahr beträgt der Durchschnittsschichtlohn aller Zechenarbeiter einschließlich Jugendlicher etwa 6,70 Mark.

Auf der Insel Borkum steht für Beamte und Kinder der Belegschaft ein Erholungsheim zur Verfügung. Während es auf den Ewald-Zechen in Herten und Resse wegen Absatzmangels 31 Doppelfeierschichten gibt, gehen Kohle, Koks und Kohlenwertstoffe aus Erkenschwick glatt ab. Die Ausbeute beträgt 300.000 Mark. Die im April 1925 vom Syndikat erhaltene Beteiligung von 2.449 Millionen Tonnen Kohlen wird durch Erwerb der Kuxenmehrheiten der Gewerkschaften Blankenburg und Vereinigte Hammerthal Ende 1925 auf 3.345.300 Tonnen Kohlen erhöht.

Um diese Zeit bestätigen folgende Übertage-Angestellte der Zeche Kenntnisnahme von Verfügungen des Generaldirektors Ruschen durch Unterschrift: der Ingenieur Schröder und die Techniker Kosner und Sickes, die Tagessteiger Nickel und von Sondern, Waschmeister Weber, die Schlossermeister Resnik und Kullack, die Schmiedemeister Paul, Kohring und Wickmann, deren Namen schon 1904 erscheinen, die Schreinermeister Voß und Kreth, der Bauführer Gronenberg, der Lampenmeister Lorenz, dessen Vorgänger Osterwinter hieß, der Förster Möller, der Holzmeister Tembeck, die Fördermaschinisten Eickmeyer, Kämper, Rechmann, Robert, Schöning, Schürmann, Schwöppe, Wewers, Wisocki, Steck, Tottmann, Trottenberg, Trautmann, der Bahnmeister Hohmann, die Lokomotivführer Borcherding, Hoffmann, Nolte, Plonka, Wichmann, die Brückenaufseher und Wiegemeister Budde und Knigge und von der Kokerei die Assistenten Aghte, Claus, Demtröder, Gößling, Schierbaum und Strotmann, als Kaufleute der Rechnungsführer Kleffmann, die Schichtmeister Brunsiek und Siepmann, die Bürobeamten Brüggemann, Bekemeyer, Barschdorf Bolte, Frentrop, der später Rechnungsführer wurde, Höffken, Hillebrandt, Kamplade, Schoppmann, Schulz, Sprawe und Tillmann; die Markenkontrolleure Brüning, Glaser, Hensel, Lubs und Löchel.

Im Jahre 1926 ist Bergwerksdirektor Julius Brinkmann Beigeordneter des Amtes Datteln und Gemeindeverordneter. Erkenschwick wird mit der selbständigen Gemeinde Oer selbständige Gemeinde Oer-Erkenschwick.

Amtsbürgermeister Dr. Odenbreit wünscht unter Hinweis auf die erwartete Industrieentwicklung nach Nordosten den Anschluß an die Gemeinde Datteln, zu der auch Rapen gehört. Hierin soll ihn Brinkmann unterstützt haben. Nach der Gemeinderatswahl teilen sich die insgesamt 21 Sitze im Rat sieben Sozialdemokraten, sieben Zentrumsvertreter, zwei Kommunisten und fünf Sonstige.

Mit einer Belegschaft von 3.750 Mann fördert die Zeche 1926 in 298 Tagen 901.000 Tonnen Kohlen und erzeugt 283.950 Tonnen Koks. Die Gesellschaft nennt einen Überschuß von rd. 3,45 Millionen Mark, aus dem 2,2 Millionen Mark Ausbeute gezahlt werden.

Bergwerk Ewald Fortsetzung 1/3 im Jahre 1926Der Durchschnittsschichtlohn sämtlicher Arbeiter beträgt 7,21 Mark gegen 5,97 Mark 1913. Die Abgaben je Kopf der Belegschaft belaufen sich laut Geschäftsbericht auf 1.116 Mark gegenüber 351 Mark 1913. Erhöhtes Krankfeiern der Bergleute führt der Geschäftsbericht, wie es heißt, "auf die z.T. überspannten Bestimmungen der ab Juli geltenden Knappschaftsnovelle zurück".

Im Mai 1927 beschließen die Gewerken das Erhöhen der Kuxenzahl von 1.000 auf 3.000, um deren Handel beweglicher zu machen. Der Kuxkurs sinkt entsprechend von 70.000 Mark auf ein Drittel; an Ausbeute werden 2.754.750 Mark oder rd. 918 Mark je neuen Kux gezahlt; das entspricht etwa 1 Mark je Tonne Kohlenförderung.

Im Jahre 1927 beträgt die Gesamtbelegschaft der Zeche unvermindert rd. 4.000 Mann.

Am 1. März 1928 fordert ein erstes größeres Unglück 14 Menschenleben und 31 Verletzte bei der Personenfahrt in der Nebenförderung des Schachtes 1 . Der Teufenzeiger versagt und die Körbe treiben in die unterhalb der Seilscheiben des Fördergerüstes bzw. oberhalb des Schachtsumpfes befindlichen Endverengungen ihrer Führung. Die auf den Körben stehenden Bergleute erleiden schwere Stauchungen. Es verunglücken tödlich: Josef Domhöfer Stefan Dreischhoff, Heinrich Fleischmann, Josef Glodeck, Johann Kemper, Martin Schimaniak, Hans Schmidt, Wilhelm Schulz, Victor Sczymansk, Paul Skrypszak, Theodor Weber, Pankratius Zöhrer; G. Huthwelker und K. Wieszorek erliegen später ihren Verletzungen.

TrauerzugDie Unglücksnachricht verbreitet sich schnell auch über Deutschland hinaus. Unter den Beileidsbekundungen sind Telegramme des französischen an den deutschen Bergarbeiterverband und des im holländischen Doorn lebenden ehemaligen deutschen Kaisers Wilhelm II. an die Verwaltung. Die Toten werden unter großer Anteilnahme am 4. März auf dem Waldfriedhof in Erkenschwick beigesetzt.

Auch Dr. Krupp von Bohlen und Halbach legt namens Wilhelm II. einen Kranz nieder. Schwarz-weiß-rote Trauerbeflaggung an Stelle schwarzer Fahnen auf den Schächten Ewald in Resse löst Widerspruch des dortigen Betriebsrates sowie Unmut des Regierungspräsidenten und des Landrates aus. Die den Sozialdemokraten und dem "Alten Verband" nahestehende Zeitung "Volksfreund" bezeichnet die schwarz-weiß-rote Beflaggung als "höhnisch, herausfordernd, ungeheuer taktlos, pöbelhaft, treudeutsches Verhalten der Zechenkapitäne und Ewaldschen Unentwegten und Ausdruck ihrer schweinsledernen Psyche". Die Verwaltung fragt, ob es andererseits richtig sei, bei der Beerdigung rote Fahnen mit Sowjetstern zu zeigen. Das kommunistische "Ruhr-Echo" verbittet sich am 6. März Kranz und Beileid durch "Wilhelm den Verflossenen, diesen blöden Kerl, der nur durch die den Werktätigen geraubten Millionen den Großspurigen spielen kann." Ihm gebühre ein Hackenstiel, damit er im Pütt endlich arbeiten und sein Brot verdienen könne, schreibt die Zeitung.

Nach 23 Stunden werden am 12. Dezember 1928 zwei verschüttete Bergleute unverletzt geborgen.

Fritz Mester wird Tagesbetriebsführer nach Otto Königsbüscher. Erster Bergrat Kurt Wassmann leitet ab 1928 als Nachfolger von Erstem Bergrat Jacobs das Bergrevier mit den Bergräten Hilgenstock und Grevel.

Das Bergrevieramt wendet sich, um Fußschäden zu vermeiden, gegen das Tragen von sogenannten "Dachdeckerschuhen" in der Grube, deren Oberteil aus dünnem Segeltuch und die Sohlen aus geflochtenem Hanf bestehen. Gegen Kopfverletzungen beim Herstellen seigerer Grubenbaue erklärt sich die Verwaltung zum Vorhalten von Kopfschutzkappen aus Leder oder Leichtmetall bereit.

Ewald Fortsetzung 4/5 im Jahre 1928Trotz rückläufiger Konjunktur steht 1928 Ewald Fortsetzung 1/3 mit rd. 831.000 Tonnen Jahresförderung erstmalig an der Spitze der Ewald-Zechen.

Die sich bereits gut entwickelte Anlage Ewald Fortsetzung 4/5 fördert rd.210.000 Tonnen.
Die Zeche fördert insgesamt an 297 Tagen mit 3.958 Mann und 1.077.891 verfahrenen Schichten 1.040.063 Tonnen Kohlen und erzeugt 445.367 Tonnen Koks. An Ausbeute schüttet die Gewerkschaft 2.137.350 Mark aus, das sind 0,85 Mark je Tonne Kohlenförderung.

Betriebsdirektor wird Mitte 1929 der 33 Jahre alte Bergassessor Otto Wehrmann, Betriebsinspektor ist seit 1923 Walter Obertüschen und als Grubenbetriebsführer bzw. Obersteiger erscheinen die Namen Heimannsfeld, Konradt, Finkemeyer, F. Lux, Reckert; Fahrsteiger sind Hesseln, Mette, Vogelsang, Mohr, Stickling und als Steiger erscheinen u.a. auch die Namen Heyse, Kleinmann, Klussmeier, Kruse, Meinhardt, Strassmann, Schubert, Wallmeier.

Noch 1929 hat das Grubengebäude nur etwa 8 Fernsprecher mit Handvermittlung am Schacht 2. Es gibt keine Fernsprecher zu den Dienstwohnungen. Die Seilscheiben zeigen an, "ob der Betrieb läuft". Versuche des Bergrevierbeamten, aus dringenden sicherheitlichen Gründen Zustimmung der Hertener Verwaltung zum Erweitern des Fernsprechnetzes zu erhalten, bleiben erfolglos, bis sich das Oberbergamt einschaltet.

Im August 1929 ist die Doppelschachtanlage in Rapen fertig. Die Kohlen des Feldes werden jedoch auch 1929 mit der Seilbahn über die 800m-Sohle zur Schachtanlage 1/3 gebracht.

Von zwei Sohlen werden arbeitstäglich 3.950 Tonnen Kohlen gehoben. Mit 1,17 Millionen Tonnen Kohlen wird die bis dahin höchste Jahresförderung erreicht. Von 197 Ruhrzechen fördern 23 Zechen mehr als eine Million Tonnen Kohlen jährlich, zu diesen zählt auch Ewald Fortsetzung.

Der Zeitung "Volksfreund" zufolge beantragt der Landtagsabgeordnete Otter im Oktober 1929 beim Bergrevieramt Strafanzeige gegen den Grubenbetriebsführer wegen Betrugs und Vergehens gegen § 262 StGB. Dieser habe den Hauern ungerechtfertigt Kohlenwagen wegen Mindermaßes und Unreinheit ohne Verwiegen in Abzug bringen lassen. Die vor Ort sogar übervollen Wagen verlören aber auf dem Weg zum Schacht so viel Kohlen, daß die Zeche zu ihren Gunsten 200 Wagen monatlich laden könne; weiter würde für 650 kg Steine ein ganzer Wagen Kohle abgezogen, obwohl diese Steine nur einen halben Wagen ausmachten. Im August 1929 seien den Hauern auf diese Art 3.000 Wagen entgangen, was bei üblicher Vergütung von 2,50 Mark je Wagen einem widerrechtlichen Lohnentzug von 7.500 Mark gleichkomme. Der Ausgang der Sache ist nicht bekannt.

Ende November 1929 meldet die Verwaltung dem Demobilmachungskommissar wegen Absatzmangels seit August und erwarteter beträchtlicher Leistungserhöhung der verbundenen Schächte Ewald Fortsetzung 1 - 5 eine "Verdünnung" der Belegschaft von 300 Mann, um die betrieblich kostspieligen Feierschichten zu vermeiden und den Arbeitern ein Existenzminimum zu sichern. Verheiratete bzw. einzige Ernährer einer Familie sollen geschont werden.

Im Dezember 1929 scheidet Walther Grevel aus dem Grubenvorstand. Es treten ein der Bergwerksbesitzer Fritz Funke, der Korvettenkapitän a.D. Theodor von Born und der Generaldirektor Dr.-lng. e.h. Jacob Kleynmans aus dem Grubenvorstand der Gewerkschaft König Ludwig.

Der Oer-Erkenschwicker Gemeinderat wählt den der kommunistischen Partei angehörenden und angeblich mehrfach vorbestraften Schachtmeister Weinert zum Gemeindevorsteher.

Die Zeche fördert 1929 an 295 Tagen mit 4.194 Mann, die 1.142.689 Schichten verfahren, 1.166.314Tonnen Kohlen und erzeugt 642.628 Tonnen Koks zuzüglich Ammoniak, Teer und Benzol sowie 5.423.700 Stück Ziegelsteine. Vergleichsweise fördern die Ewald Zechen in Herten und Resse an nur 281,5 Tagen mit 4.370 Mann, die rd.1.119.000 Schichten verfahren, 1.732.070 Tonnen Kohlen, erzeugen keinen Koks und keine Kohlenwertstoffe, jedoch 9.896.265 Ziegelsteine. Die gesamte Schichtleistung dieser Zechen liegt hiernach bei 1,574 Tonnen ohne Kokerei und Nebenbetriebe im Vergleich mit 1,02 Tonnen je Mann und Schicht auf Ewald Fortsetzung, hier allerdings mit Kokerei und Nebenbetrieben. Die Zeche war seit 1925 im Schnitt an 298 Jahrestagen beschäftigt, während die Zechen in Herten und Resse im Schnitt nur etwa 281 Tage jährlich beschäftigt werden konnten.

Es werden 2.416.750 Mark Ausbeute gezahlt, das sind 0,86 Mark j e Tonne Kohlenförderung.

Am 1. Januar 1930 beginnt der bis zum 31.03.1931 andauernde Leistungsnachweis der Anlage Ewald Fortsetzung 4/5 zwecks Erhöhung der Syndikatsbeteiligung.

Der Leistungsnachweis bringt eine Beteiligungsziffer von 636.800 Tonnen.

Im April und Mai 1930 wird die Entlassung weiterer 700 Mann der Zeche zwecks Anpassens der Fördermenge an den Absatz angezeigt. Der Bergrevierbeamte vermerkt, drei Betriebe hätten die Baugrenze erreicht, seien außerdem in Störungsgebiete geraten und müßten abgelöst werden. Bis Ende Mai werden 55 Schachtfeierschichten verfahren.

Im August 1930 geht das Stickstoffwerk in Betrieb, aber die Erlöse verfallen wegen Absatzmangels auf einen Bruchteil der erwarteten Höhe. Betriebsleiter des Werkes wird Otto Teilken, als Chemiker wird Dr.-Ing. Wilhelm Riese tätig.

Im August 1930 heißt es in der den Sozialdemokraten nahestehenden Zeitung "Volksfreund" zur Kündigung von 600 Mann durch die Zeche: "Wenn auch zugegeben ist, daß infolge der bestehenden Wirtschaftskrise der Kohlenabsatz zu wünschen übrig läßt, so ist andererseits doch nicht zu verkennen, daß hinter den vielen Entlassungen und Feierschichten politische Hintergedanken lauern. Man möchte zu gern, daß die Kumpels sich zu Unbesonnenheiten verleiten ließen. Auch sieht man gern, daß der Kumpel in das extreme Fahrwasser der Nazis und Kozis sich treiben läßt. In dem entstehenden Wirrwarr glaubt dann das Kapital seine einseitige politische Diktatur aufrichten zu können. Bergmann halte die Augen offen! Erkenne, was gespielt wird und handle danach! Am 14. September ist die Wahl !"

Bei dieser Reichtagswahl erreichen die Kommunisten im Raum Recklinghausen hinter Gelsenkirchen, Duisburg und Essen über 23%, die Sozialdemokraten nur noch rd. 13%, das Zentrum jedoch noch 26% und die Nationalsozialisten rd. 10% der Stimmen. In den Gemeinderatssitzungen der folgenden Zeit in Oer-Erkenschwick sollen sich Schlägereien zugetragen haben.

Aus Anlaß der tödlichen Unfälle der Steiger Heinenberg und Thuis bei Berge-gewinnungsarbeiten an der Steinhalde in Erkenschwick ordnet der Bergrevierbeamte an, zunächst eine flache Böschung zu schaffen und die Bohrlöcher nur in sicherem Abstand von oben in die Halde zu bohren.

Wie die Zeitung "Volksfreund" berichtet, wird auf einer Belegschaftsversammlung mit "Kamerad" Landtagsabgeordneter Otter am 1. November 1930 bei Welter nach Beschimpfen der "Kommunisten" Schiller und Krämer Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichen Löhnen gefordert, um die Arbeitslosigkeit zu beheben.

Im Jahre 1930 werden mit einer um 600 Mann auf 3.345 Mann verringerte Belegschaft und 838.777 verfahrenen Schichten in 265 Arbeitstagen noch 926.748 Tonnen Kohlen gefördert und 420.230 Tonnen Koks erzeugt. Der Durchschnittslohn aller Arbeiter einschließlich Jugendlicher beträgt 8,60 Mark je Schicht. Die Gesellschaft zahlt nur noch 750.000 Mark Ausbeute, das sind 0,31 Mark je Tonne Förderung. An der Klein-Erkenschwicker- und Knappenstraße entstehen noch 70 Wohnungen. Die Zeche hat damit insgesamt 1.884 Wohnungen.

Am 16. März 1931 stirbt der Generaldirektor Carl Ruschen im Alter von 61 Jahren. Zu seinem Gedenken tragen der Schacht 4 den Namen "Ruschen" und die zu ihm führende Straße den Namen Karlstraße. Hollender würdigt das Lebenswerk von Carl Ruschen in einem Nachruf. Er wird mit 57 Jahren Ruschens Nachfolger und Generaldirektor der Gewerkschaften Ewald und König Ludwig.

Ab 1. April 1931 wird nach Beenden des Leistungsnachweises der Schachtanlage 4/5 deren Grubenbetrieb geschlossen und der Abbau unter Drosseln von Förderung und Belegschaft im südlichen Baufeld der Schachtanlage 1/3 zusammengefaßt. Betriebsratsvorsitzende sind auf der Schachtanlage 1/3 Stuckmann und Sickmann auf der Schachtanlage 4/5.

 
 
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